Erzählspuren
IG Halle in der Alten Fabrik Rapperswil
17. März – 23. April 2006
Erzählspuren vom Nahen ins Offene
Fotografien von Andrea Gohl bei der IG Halle in Rapperswil
In Schwarz-Weiss-Fotografie hält die Zürcher Fotografin Andrea Gohl unspektakuläre Innenräume, Passagen und Fensterblicke aus ihrem Umfeld fest. Beobachtungen von Naturphänomenen und Ortserfahrungen verdichten sich zu starken, atmosphärischen Bildern. Werke aus älteren und neuen Serien sind in der Rapperswiler Ausstellung assoziativ zusammengeführt.
Kurator: Guido Baumgartner
Ein Korridor im spärlichen Licht einer Deckenlampe, bedrohlich eng, kahl, unwirtlich – kein Ort zum Verweilen. Oder der Treppenabsatz: Ein Stück Weg zwischen dunklen Wänden, mit Stufen nach oben. Mit Stufen wohin? Einige der Bilderserien, die Andrea Gohl, Absolventin der New Yorker School of Visual Arts, von ihrem zehnjährigen Aufenthalt in New York 2001 nach Zürich zurückgebracht hat, handeln von Durchgangszonen. Aber nicht die hektische Betriebsamkeit der Metropole schlägt sich in den Fotografien nieder, sondern was davon zurückbleibt: stille, menschenleere Raumgefässe, erfasst im Augenblick zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“.
Der öffentlichen Passage stellt Andrea Gohl das private, sparsam möblierte Schlafzimmer gegenüber. Die Schlafecke ist immer wieder aus dem gleichen Blickwinkel aufgenommen. Doch einmal führen die wechselnden Licht-Schattenspiele auf Vorhang und Bett die Bildregie, ein andermal die von Körpern geformten Falten des Bettüberwurfs. Weit über die dokumentarische Präzision hinaus sind Stimmungen eines „gelebten“ Orts am Übergang zwischen Wachsein und Schlaf eingefangen. Wo die Fotografin Unschärfe erzeugt, hallt das Flüchtige leise nach. Verschwimmend scheint sich das Bild selber aufzulösen. Die „Realität“ hebt sich auf.
Schneetreiben und nächtliche Schritte
In den letzten Jahren hat Andrea Gohl ihre Thematik – die Auseinandersetzung mit dem Raum – erweitert. Die fotografische Beobachtung von Naturphänomenen wie Wetter, Schnee oder Frost dokumentiert das Veränderliche des statischen Raums. Ein winterliches Baumskelett vor der gegenüberliegenden Hausmauer, der Fensterblick auf das Schneetreiben im Hinterhof, der Wolkenhimmel hinter der beschlagenen Scheibe machen das Einwirken der Zeit sichtbar. Fussspuren, nächtliche Schritte und Schattenfiguren schliesslich bringen nicht nur Dynamik in eine Schneelandschaft, sondern lassen das Fassbare des Orts hinter sich. Und geben der Fantasie Impulse.
Schon immer hat die 35-jährige Fotografin ihr Augenmerk gerne auf das Unspektakuläre ihres jeweiligen Umfelds gerichtet. Unscheinbare Dinge und Szenerien stehen als Fragmente für die ganze Wirklichkeit. Den abgerissenen Duschvorhang sieht sie als geheimnisvoll schimmernde Lichtskulptur und holt ihn so für einen Moment aus seiner banalen Nützlichkeit. Eine weiss gekachelte Ecke oder ein Vogelmotiv auf einem Vorhang funktionieren als „Erzählkeime“. Schäbig gewordene Tapetenwände wecken Erinnerungen, Melancholie. Nicht nur die Motive selbst wirken als Kristallisationspunkte für Geschichten.
Mit ihrer Vorliebe für Materialien, Texturen und Stofflichkeit schafft Andrea Gohl sinnliche Oberflächen: Folien für Assoziationen und das Auflebenlassen von Gefühlen. Oft brechen Spiegelungen in die Bildrealitäten ein und stellen sie in Frage. Oder innere und äussere Wirklichkeiten durchdringen sich.
Perfekt gesteuerte Bilddramaturgie
Die Schwarz-Weiss-Fotografie von Andrea Gohl kommt ganz ohne digitale Bearbeitung aus. Viel von ihrer Intensität verdankt sie der Arbeit in der Dunkelkammer, wo die Künstlerin Baryt-Abzüge bis zu Grossformaten von 70 × 100 Zentimetern herstellt und die Bilddramaturgie perfekt steuert: nüchtern harte Kälte, verschwommene Weichzeichnung, zwiespältiges Hell-Dunkel, packende Licht-Schatten-Dramatik. Die Rapperswiler Ausstellung mit Werken aus verschiedenen Serien entwickelt dichte Stimmungsmomente und legt in der Gegenüberstellung von Bildern lockere Motivfäden aus, Erzählspuren vom Nahen ins Offene und ins Unvertraute.
Text: Barbara Handke / IG Halle
Medienspiegel
Obersee Nachrichten, 16.03.2006
Schwarz-weisse Erzählspuren in der Alten Fabrik
Zürcher Oberländer, 20.03.2006
Spuren in Schwarz und Weiss
Manchmal ist weniger mehr
Vom Nahen ins Offene
Neue Zürcher Zeitung, (ca.) 21.03.2006
Atmosphärische Spuren in strengem Schwarzweiss
Ungewöhnliche Sichtweise auf eine Stadt
Fotografische Erzählspuren
Anlässe in der Ausstellung ANDREA GOHL – ERZÄHLSPUREN
Vernissage
Freitag, 17. März, 19.00 Uhr
Einführung: Martin Jaeggi, Publizist und Dozent Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich
Matinee
Sonntag, 9. April, 11.00 Uhr
Gespräch und Führung mit der Künstlerin Andrea Gohl und Pietro Mattioli, Künstler und Kurator
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