Face to Face
IG Halle im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil
21. August – 6. November 2016
FACE TO FACE befasst sich mit dem menschlichen Gesicht. Von klassischen Disziplinen wie Malerei und Fotografie über Objekt und Video bis zur Kinematografischen Skulptur und sogar der Lebendigen Skulptur: Die Beiträge von zwölf Kunstschaffenden ermöglichen einen vielfältigen Zugang zum Thema und regen zu gesellschaftlichen und philosophischen Fragen an. Für die Betrachter genauso wie für die Kunstschaffenden birgt das Gesicht ein unerschöpfliches Potential an Auseinandersetzung mit Fragen nach Identität, Schein und Sein, Oberfläche und Wesen. Dabei interessieren nicht nur Verformungen, Verwandlungen und Entstellungen des Gesichts, sondern auch das Gegenteil: Entzerrung und Befreiung von gesellschaftlicher Prägung.
Kurator: Guido Baumgartner
FACE TO FACE – von Angesicht zu Angesicht findet man sich mit Angela Merkel, Kim Jong-un oder Barack Obama in den Porträts in Öl auf Leinwand von Rik Beemsterboer. Die realistisch in Schwarz-Weiss gemalten Gesichter seiner Führer und Irreführer füllen Formate von 180 × 140 cm, sodass die in Herrscherdarstellungen sonst wohl gewahrte Distanz dahinfällt. Nur zu deutlich ist erkennbar, welche Spuren, Furchen und Verzerrungen sich in die Gesichter der Mächtigen eingegraben haben.
In die Haut der von Andres Herren fotografierten Menschen haben sich noch nicht so viele Lebensspuren, dafür aber sehr viel Tinte eingeprägt. Die Serie Human Canvas zeigt meist junge Männer und Frauen, die ihr Gesicht stellenweise bis flächendeckend haben tätowieren lassen. Diese Masken einer selbst gewählten Identität machen das Gesicht zum Träger einer Botschaft oder eines politischen Statements, hinter dem sich die Individualität eher verbirgt als zum Ausdruck bringt.
Maske und Deformation
Ähnlich einer Tätowierung sind Valentin Magaros zeichnerische Werke präzise konstruierte und oft komplex verschachtelte Bildwelten, wobei die formale Kontrolle sich bisweilen in beklemmenden Inhalten spiegelt. Seine Masken-Objekte, die aus Modemagazinen entnommenen Fotoporträts gefaltet sind, stellen durch die Ähnlichkeit mit dem Totenschädel einen makabren Kommentar zur Welt oberflächlicher Schönheitsideale dar. Das abgebildete Gesicht wird der geometrischen Konstruktion unterworfen und nimmt eine groteske dreidimensionale Gestalt an.
Unzählige mögliche Formen der Verzerrung macht Anina Schenker in einigen ihrer Video-Arbeiten sichtbar. In ihrem gesamten Werk bildet das Gesicht ein zentrales Thema. Sie arbeitet dabei hauptsächlich mit ihrem eigenen Gesicht und nutzt spezielle technische Verfahren, um Bewegungsabläufe zu analysieren. Die auf diese Weise provozierten Bilder wecken unter anderem die Frage, inwiefern die Fratzen und Verunstaltungen Aspekte der Person zum Ausdruck bringen oder von aussen auferlegt sind.
Verschiedene der beteiligten Kunstschaffenden wählen das Gesicht als Sujet, um Deformation und Entstellung zu thematisieren. Implizit klingt darin auch die Frage nach dem wahren, unverstellten Ausdruck an. Im Werk Preeti Chandrakants geht es um Entzerrung und Befreiung von gesellschaftlicher Prägung, was in den Gesichtern ihrer ArtBeings zum Ausdruck kommt.
«Everyone is a potential work of art»
Unter dieser Maxime und dem radikalen Entschluss folgend, keine Objekte mehr zu kreieren, schafft Preeti Chandrakant seit vierzehn Jahren ArtBeings. ArtBeings sind Menschen, die sie unter Anwendung interaktiver, die Sinne schärfender und physischer Techniken in Kunstwerke verwandelt. Die Kommunikation – face to face – zwischen der Künstlerin und den Kunstwerken in Entstehung löst intensive Transformationsprozesse auf allen Ebenen des Bewusstseins aus. In zahlreichen internationalen Happenings seit 2002 haben sich Menschen auf das Abenteuer eingelassen, ein lebendes Kunstwerk zu werden. Mit FACE TO FACE ergreift die IG Halle als erste Institution in der Schweiz die Möglichkeit, Preeti Chandrakants ArtBeings zu zeigen. Wie genau diese ausgestellt werden, ist vorerst eine Überraschung, aber wer ihnen live begegnen möchte, kann dies an der Vernissage tun, oder aber am Podiumsgespräch über das lebendige Kunstwerk am 9. Oktober, bei dem es um Bodybuilding, Tattoos und ArtBeings geht.
Kopfkino und Selbsterkenntnis
Scheinbar zum Leben erweckt sind die Gesichter in den Kinematografischen Skulpturen des Künstlerduos Daniel Glaser und Magdalena Kunz. In der räumlich erlebbaren Videoinstallation Kopfkino wird das Gesicht als Bühne verwendet, auf der sich Gedankenwelten abspielen und Grundfragen zum Leben verhandelt werden. In der Überlagerung von dreidimensionaler Plastik mit verschiedenen Ebenen von Bildern und Erzählungen entsteht ein surrealer Raum, in dem unter anderem die Grenzen und die Subjektivität unserer Wahrnehmung thematisiert werden.
Von der Schwierigkeit sich selbst zu erkennen, erzählt in poetischer Weise die neue Arbeit Selbstportrait von Judith Albert. Das Video zeigt die Hand der Künstlerin, wie sie den Schattenwurf des eigenen Kopfes auf Papier umkreist, Konturen suchend, während sich die unscharfen Umrisse des Schattens ständig leicht verschieben. Trotz der Einfachheit und Leichtigkeit der Sprache ist diese Arbeit dicht an Fragen und Assoziationen.
Grenzen der Sichtbarkeit
Verschiedentlich dient Unschärfe als Mittel, um Statik und Gewissheit aufzuheben und auf Realitäten jenseits des Sichtbaren hinzuweisen. Florian Gasser lässt das Gesicht in seinen Ölbildern aus einem unbestimmten atmosphärischen Raum aufscheinen, während man auf den ersten Blick beinahe monochrome Werke vor sich zu haben glaubt. An eine Totenmaske erinnernd, bewegen sich die Gesichter am Übergang zwischen dem Formlosen und der individuellen Gestalt, unfassbar zwischen innerem Raum und äusserer Erscheinung.
Aspekte des Sehens und des Lichts beschäftigen Marcel Gähler in all seinen Werken. Die vorliegende Serie zeigt Feuerwehrleute, die Zeugen von 9 /11 waren. Die Aquarelle, die auf Ausschnitten aus YouTube-Filmen basieren, lassen den Gesichtsausdruck erkennen, wirken aber überbelichtet. Es ist Licht, das nicht zeigt, sondern Informationen löscht, wegfrisst, Farben ausbleichen lässt und damit die Ungewissheit, Hektik und Orientierungslosigkeit der Situation spiegelt. Gleichzeitig werden damit Zweifel an der Verlässlichkeit und dem Wahrheitsgehalt des Bildes ausgedrückt.
Text: Judith Annaheim / IG Halle
Medienspiegel
Stadtmagazin Rapperswil-Jona, 10/2016
Face to Face
Das Gesicht als Leinwand
Kunst hat viele Gesichter
Ein Kunstwerk, das spricht
P.S. Die linke Zürcher Zeitung, 07.10.2016
Spielerischer Ernst
Lebende Kunstwerke geben Einblick in ihre Welt
Der Sinn liegt in der Sinnlosigkeit
Lebende Kunstwerke reden über Freiheit
Face to Face
Anlässe in der Ausstellung FACE TO FACE
Kunst-Brunch – made by the artists
Sonntag, 11. September, 11.30 Uhr
Kunst-Brunch – made by the artists. Üppig, bunt und inspirierend. Mit anschliessender Kurzführung durch Kurator Guido Baumgartner.
ArtBeings, Tattoos und Bodybuilding
Sonntag, 9. Oktober, 11.30 Uhr
Gespräch über das lebendige Kunstwerk mit:
Dr. Jörg Scheller, Kunstwissenschaftler, Dozent ZHdK
ArtBeings No. 3 und No. 22 von Preeti Chandrakant
Moderation: Guido Baumgartner, Kurator der Ausstellung Face to Face
Zwei ArtBeings sprechen über die Transformationsprozesse, die aus einem Menschen ein Kunstwerk machen. Sich selbst zum Kunstwerk machen – das entspricht auch dem Selbstverständnis von Bodybuildern. Jörg Scheller, ehemaliger Bodybuilder, Kunstwissenschaftler und zurzeit Dozent an der ZHdK, spricht sowohl aus eigener Erfahrung als auch aus der Sicht des Forschers, der ein gesellschaftliches Phänomen untersucht.
So ein Ding! Ein Kunstwerk, das spricht
Lebende Kunstwerke geben Einblick in ihre Welt
Lebende Kunstwerke reden über Freiheit
Face to Face
Publikation Being ArtBeing, Preeti Chandrakant
Being ArtBeing
Face to Face with Truth, 2016
Mit einem Text von Dr. Jörg Scheller, Kunstwissenschaftler.
Als erste Künstlerin weltweit schafft die schweizerisch-indische Künstlerin Preeti Chandrakant lebende Kunstwerke: ArtBeings. Preeti Chandrakants nunmehr vierzehn Jahre dauernder Unternehmung der ArtBeings liegt die Maxime zugrunde: «Everyone is a potential work of art». Mit dieser Publikation wird dieses pionierhafte Werk erstmals dokumentiert. Ein spezielles Gestaltungskonzept spiegelt den flüchtigen, immateriellen Gehalt dieser Arbeit. Das an Anregung und Inspiration dichte Buch enthält ein Interview mit der Künstlerin.
96 Seiten, Softcover (Silverboard mit Siebdruck), Deutsch und englisch
CHF 36.–
Öffentliche Führungen
Sonntage, 16. Oktober und 30. Oktober, 11.30 Uhr
Öffentliche Führungen mit Kurator Guido Baumgartner
(Bild: EVERYONE IS A POTENTIAL WORK OF ART von Preeti Chandrakant)
Finissage mit Künstlergespräch
Sonntag, 6. November, 15.00 Uhr
Führung mit Judith Albert, Anina Schenker, Marcel Gähler und Valentin Magaro. Im Austausch mit Kurator Guido Baumgartner sprechen die Kunstschaffenden über ihre Werke, die Videoarbeiten, Malerei und Objekte umfassen.
(Bild: Anina Schenker, Fotografie)
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