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24. Oktober 1997 –
16. November 1997



Holzschnitte

Eliane Huber Irikawa

Ausstellung Eliane Huber Irikawa
Ausstellung Eliane Huber Irikawa
Collage mit Fotos und Holzschnitt, Eliane Huber Irikawa
Collage mit Fotos und Holzschnitt, Eliane Huber Irikawa
Ausstellung Eliane Huber Irikawa
Ausstellung Eliane Huber Irikawa
Collage mit Fotos und Holzschnitt, Eliane Huber Irikawa
Collage mit Fotos und Holzschnitt, Eliane Huber Irikawa

Holzschnitte

IG Halle in der Alten Fabrik Rapperswil 

24. Oktober – 16. November 1997

Kurator: Peter Röllin


Vernissagerede für Eliane Huber Irikawa anlässlich der Ausstellung „Holzschnitte“

24. Oktober 1997
Patrick Schedler, Philosoph

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Eliane, lieber Seishi,

in einem der wichtigsten philosophischen Bücher der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts schreibt am Schluss Michel Foucault eine bemerkenswerte Prophezeiung. Er sagt uns dort, dass jene sprachliche und theoretische Gestalt des Menschen, wie wir ihn seit zweihundert Jahren kennen, verschwinden wird, wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.

Seither wird der Name Michel Foucault oft mit einem postmodernen Antihumanismus assoziiert. Das Buch, das ich zitiere, heisst: „Die Ordnung der Dinge“ oder im französischen Original „Les mots et les choses“. Ich erwähne das, weil am Anfang des Katalogs dieser Ausstellung ein Zitat von Paul Virilio steht, jenes Philosophen, der aktuell die besten Sätze über die Geschwindigkeit, den Krieg und das Verschwinden des Menschen schreibt. Virilio steht auf den Schultern Foucaults.

Foucault ist seit 14 Jahren tot. Er konnte nicht mehr erleben, wie sich seine Prophezeiung in allen unseren politischen, wissenschaftlichen und sozialen Strukturen bereits vollzieht, vielleicht viel früher und viel schneller, als er gedacht hat. Aber was heisst das: der Mensch verschwindet? Wo doch täglich die Menschheit um Hundertausende zunimmt. Der Mensch verschwindet als Gestalt der Menschlichkeit, als eine Gestalt, auf die sich unser Interesse und unser Wissen, unsere Werte und die Begründungen der Politik ausgerichtet haben.

In der Kunst der Gegenwart erkennen wir hier durch die verschiedenen Medien und Ansätze hindurch, wie die Kunstschaffenden, die sozusagen die Seismographen der tiefgründigen Veränderungen unserer Gesellschaft und Kultur sind, in ihren Werken von diesem Verschwinden berichten. Weniger sichtbar ist indes, was an die Stelle des Menschen tritt. In Eliane Huber Irikawas neuen Werken sehe ich beides: Dokumente einerseits, die von diesem Verschwinden Zeugnis geben, aber auch schon eine noch auf der Schwelle stehende Ankündigung dessen, was sich abzeichnet: und das meine ich im ganzen Doppelsinn des Wortes. Es zeichnet sich etwas ab – eine Spur des Verschwindens, wie im Schnee oder im Sand. In der japanischen Kunst hat dieses Spüren von Spuren eine tiefe Tradition. Spuren sind Zeichen, die erscheinen und verschwinden und auf etwas anderes verweisen.

Um Ihnen meinen Gedanken verständlich zu machen, komme ich nicht darum herum, einen Bogen zu schlagen: das 18. Jahrhundert hat eine neue theoretische Gestalt der Welt gebracht. Wir sammeln das gemeinhin im Begriff der Aufklärung. Die Aufklärung ist – knapp formuliert – die Entdeckung des Menschen als Mass aller Dinge. Gott wurde auf das unerkennbar Absolute des reinen Gedankens des Menschen reduziert – sozusagen aus dem Leben des Menschen verbannt in den Bereich des Undenkbaren, oder noch radikaler: ins Nichts. Der konsequente Gedanke der Aufklärung ist die Identität Gottes mit dem Nichts. Aus dieser Grundlage erwuchsen die Humanwissenschaften einerseits und die exakten Naturwissenschaften andrerseits. Die Zweiteilung der Wissenschaft mit all ihren Querelen, Kämpfen und Versöhnungsversuchen war eine Bedingung der Möglichkeit, den Menschen an die Stelle Gottes zu setzen. Die Konsequenzen daraus in philosophischer Hinsicht sind schwieriger zu verstehen, als jene in praktischer Hinsicht. Aber die reale politische Welt gibt uns immer die Symbole, mit denen wir die intellektuelle Situation entziffern können. Die Wirklichkeit ist immer ein Ausdruck unseres Denkens. Die Manifestation dieser philosophischen Grundverfassung der Moderne mündete im Bau und dem notwendig daraus folgenden Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki.

Die Gottgleiche des Menschen wurde symbolisch damit bewiesen, denn die Macht Gottes hat sich für den Menschen immer in der Kraft der Vernichtung gezeigt. Dass der Mensch in die Lage gekommen ist, grössere Vernichtungskraft zu entwickeln, als jede Naturkatastrophe in seiner Erinnerung, hat ihm diese Gewissheit gegeben.

Am Ende des Jahrtausends bricht diese Linie ab. Es ist, als wäre es dem Menschen unangenehm, auf dem Thron Gottes zu sitzen. Er fühlt sich von der Verantwortung überfordert und möchte sich zurückziehen von diesem unsäglichen Druck für das Schicksal des Planeten und seiner Bewohner verantwortlich zu zeichnen. Nicht zuletzt deshalb, erfreuen sich die reihenweise produzierten Science Fiction Filme, die von der Begegnung mit extraterrestrischen Lebensformen handeln, solcher Beliebtheit. Sie sind nichts weiter, als die märchenhaften Formeln für dieses Unwohlsein am Zustand dieser göttlichen Einsamkeit. Heute erkennen wir in allen Aspekten neue Bescheidenheiten. Es sind nur noch ein paar politische Dinosaurier, die von grossen Erlösungsideologien und der Weltherrschaft träumen. Die Wirklichkeit hat sich indes schon verändert. Wir haben angefangen in einer

Welt zu leben, in der der Mensch bloss noch ein Knoten in hundert und tausendfach ihn durchziehender Netze ist. Wir erkennen uns als Funktionen, als informationsverarbeitende Systeme, als Agenten grosser und in ihrer Komplexität nicht erkennbarer Zusammenhänge. Die Welt ist identisch geworden mit dem Globus und wir kennen jenen Effekt, wonach der Flügelschlag eines Schmetterlings am einen Ende der Welt an ihrem anderen Ende einen gewaltigen Sturm auslösen kann. Wir schwanken in unserem Selbstbewusstsein zwischen verzweifelter Ohnmacht und den Nachwirkungen jenes rauschhaften Augenblicks der Allmacht, zwischen Vereinzelung und gleichzeitiger Auflösung in der Masse.

Hier sind wir bei Eliane Huber Irikawas Werken angelangt, deren thematische Herkunft aus ihren Beobachtungen während der Lebensjahre, die sie zusammen mit ihrem Mann Seishi Irikawa in Japan verbrachte. Tokio ist kaum wie eine andere Stadt Sinnbild dieser totalen Vermassung und Vereinzelung, aber gleichermassen ist diese Stadt auch ein Sinnbild der globalen Vernetzung. (Nicht auf Tokio bezogen.) Nirgends sind die elektronischen Kommunikationsnetze dichter und ausgelasteter als in Tokio. Dieses Werk hier, vor dem ich stehe, reduziert auf wunderbar einfache Weise diese komplexe Befindlichkeit. Aus dem Hintergrund scheinen Fotografien durch, die die verschiedenen Modi der Bewegung in der Grossstadt festhalten: das Warten vor der Fussgängerampel, das Umschalten auf Grün, die Masse setzt sich in Bewegung. Die Ampel schaltet auf Orange. Die letzten rennen noch hinüber, die Autos beginnen sich in Bewegung zu versetzen. Der Übergang ist leer, gleich werden die Autos kommen. Kreuzungen und Querungen sind die Knotenpunkte in komplexen Netzen der Kommunikation. Eliane Huber Irikawa hat über die Fotos dieses fast nervenartige Japanpapier geklebt, als eine weitere Schicht. Auch hier sehen wir wiederum Netze, wie das Gewebe unter der Haut, in dem feine Blut- und Elektronenströme fliessen und das unbegreiflich Ganze in Bewegung versetzen. Schliesslich überlagert sie die Arbeit mit einer dritten Schicht, die aus der abgedruckten Farbe des Druckstocks besteht. Im Druckstock selbst hat sie die Auflösung des Menschen in der nervösen Bewegung dargestellt. Interessant dabei ist gerade dieser Gegensatz des Holzschnitts zur Thematik des Dynamischen. Der Holzschnitt ist ja ein sehr altes Verfahren, etwas in unserer Zeit fast Anachronistisches, Antiquiertes, wo wir doch Medien wie Video, Computer, Licht, etc. zur Verfügung haben. Es handelt sich hier aber nicht um die Zelebration von Nostalgien. Im Gegenteil: Hier geht es um den sehr bewussten Einsatz des Mediums. Der Widerstand, den der Holzschnitt bietet, setzt eine andere Zeitsequenz, als die Fotografie und öffnet damit eine Spannung. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass unsere Gegenwart nur in einer Zeitdimension zu begreifen wäre. Das Charakteristische an den Veränderungen sind just diese Überschichtungen der verschiedenen Grundkategorien des Raumes, der Zeit und der Information. Gleichsam sind diese Schichtungen voneinander nicht unabhängig. Die Fotografie ist letztlich ein dem Holzschnitt verwandtes Medium. Im ersten Schub der Medialisierung von Information war es gerade der Holzschnitt, der die elementare Möglichkeit der Vervielfältigung bot. Die Fotografie ist in diesem Sinne bloss die technologische Konsequenz daraus, die aber als neue Stufe doch auch eine neue Wirklichkeit erschaffen hat. Der mediale Kontrast von Holzschnitt und Fotografie versinnbildlicht auch die Überschichtungen der Zeit. Auch dafür ist die japanische Gesellschaft mit ihren extremen Gegensätzen zwischen Avantgarde und Traditionalismus ein gutes Anschauungsbeispiel. In der Schweiz beobachten wir Ähnliches.

Als der Holzschnitt Anfang des Jahrhunderts im Expressionismus ein Comeback erlebte, war bemerkenswerterweise eine vergleichbare Wahrnehmung damit verbunden. Die Dynamik der modernen, sich beschleunigenden Welt, wurde im Holzschnitt ausgedrückt. Der Widerstand, den das Holz bot, und die Kraft, die dagegen aufgewendet werden musste, war für Kirchner, Pechstein, Marcks bis zur neuen Sachlichkeit von Grozs und Beckmann eine adäquate Form den Konflikt auszudrücken, in den der Mensch mit seiner Umwelt an der Reibung mit den Ordnungskategorien kommt.

Eliane Huber Irikawa hat diese Wahrnehmung aber noch erweitert in der Ausweitung des Prozesses auf die Fotografie, die Arbeit mit dem Papier, der Weiterverwendung des Druckstocks. Letztlich bleibt das Werk nicht bloss Objekt, sondern dokumentiert sich selbst als Prozess. Diese Rückkoppelung der Bedingungen des Entstehens und der Veränderung ist ebenfalls charakteristisch für die netzartige Struktur des Denkens und der Befindlichkeit in unserer Gegenwart.

Eliane Huber Irikawa hat eine sehr aktuelle Ausdrucksform für die seismischen Verschiebungen, Unter- und Überschichtungen und Aufbrüche aufgespürt, die das Verschwinden des Menschen von der Bühne der Geschichte als Darsteller Gottes mit sich bringen. Technik und Inhalt stehen darin nicht getrennt voneinander, sondern enthalten sich gegenseitig. Sie zeigt damit eine überzeugende Eigenständigkeit, die beweist, dass ihre Werke nicht aus der Zufälligkeit, sondern aus einer tiefgründigen und qualitativ hochstehenden Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Gegenwartskunst entstanden sind.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Allen einen schönen Abend.

Anlässe in der Ausstellung HOLZSCHNITTE

Vernissage

Freitag, 24. Oktober, 18.00 Uhr

Einführung: Patrick Schedler, Philosoph

Finissage

Sonntag, 16. November, 18 Uhr

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