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01. März 2015 –
17. Mai 2015



Mauerfall und Bilderreisen

Vera Singer und dekern – Kunstwege aus der ehemaligen DDR

Ausstellungsansicht Mauerfall und Bilderreisen
Ausstellungsansicht Mauerfall und Bilderreisen
Vera Singer, Malerei
Vera Singer, Malerei
Vera Singer, Malerei
Vera Singer, Malerei
dekern, Malerei
dekern, Malerei
Vera Singer und dekern (li.)
Vera Singer und dekern (li.)
Vera Singer, Malerei
Vera Singer, Malerei
Vera Singer
Vera Singer
dekern
dekern
Besuch des Trabantclub Schweiz in der Ausstellung Mauerfall und Bilderreisen
Besuch des Trabantclub Schweiz in der Ausstellung Mauerfall und Bilderreisen

Mauerfall und Bilderreisen

IG Halle im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil
1. März – 17. Mai 2015


Exilland Schweiz zweimal für die heute 88-jährige Berlinerin Vera Singer: 1944 als jüdisches Kind und nach dem Mauerfall 1989 für ihre Bilder auf dem Weg nach Rapperswil. Der Verein IG Halle erzählt in der Ausstellung im Kunst(Zeug)Haus die ungewöhnliche Geschichte, ergänzt mit Werken des 1970 in der DDR geborenen Malers dekern.  

Kurator: Peter Röllin

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Geopolitisch war der Berliner Mauerfall am 9. November 1989 eines der wichtigsten Ereignisse seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Mit dem Fall der Mauer verband sich die Auf-lösung der 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik DDR. Mit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion hat sich die Welt in neue Verhältnisse begeben. Der folgen-schwere Systemwechsel und die Wiedervereinigung in den beiden Teile Deutschlands bewegten auch ganz unterschiedlich Künstlerinnen und Künstler. Vera Singer, 1927 in Berlin geboren, hat in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs sich im Sowjetsektor am Wiederaufbau auf ihre Weise als Künstlerin stark engagiert. Für sie erschütterte der Mauerfall Grundfesten im bisherigen Leben: „Plötzlich, mit dem Ende der DDR, war für mich die Identität verloren. Wusste ich etwas mit dem Gedanken anzufangen, als ich erfuhr, dass ich meine Jahre im Irrtum verbracht haben sollte?“ DDR als Heimat war wie weggefegt. Die Künstlerin schickte ihre Bilder nach den Novembertagen 1989 in die Emigration an den Zü-richsee. Mauerfall und Bilderreisen – eine wahre Geschichte mit tiefer Betroffenheit, aber auch heiterem Ende. Für den mehr als 40 Jahren jüngeren Künstler dekern, mit bürgerli-chem Namen Thomas Kern 1970 in Radeberg bei Dresden geboren, bedeutete der Mauerfall die entscheidende Befreiung.
Vera und Hans Singer – Emigranten finden sich in Zürich
Vera Singer, als Vera Adler 1927 in jüdischer Familie in Berlin geboren, emigrierte 1933 nach Frankreich. Die Jugendjahre verbrachte sie in Ascona und Zürich. Imre Reiner, Max Gubler und Johannes Itten (Farbenlehre) waren in ihrer frühen Ausbildung wichtig. Ihr späterer Ehemann Hans Singer emigrierte 1933 zwölfjährig mit seiner Mutter von Berlin nach St.Gallen. Nach Schulen in Kaltbrunn und St.Gallen war Singer während seines Chemiestudiums an der ETH Zürich aktiver Sekretär der Bewegung Freies Deutschland, der auch zahlreiche Leute vom Zürcher Schauspielhaus sowie der Bekennenden Kirche um Karl Barth angehörten. Dort lernte Vera ihren späteren Ehemann Hans Singer kennen. Singers Vater, Kurt Singer, der bekannte Musikwissenschaftler und Intendant der Städtischen Oper Berlin und Gründer/Leiter Kulturbund Deutscher Juden starb 1944 im KZ Theresienstadt.
Engagement in der DDR unter schwierigen Konstellationen
1948 emigrierten Vera und Hans Singer in die sowjetische Besatzungszone Berlins, um sich als Antifaschisten und Kommunisten am Wiederaufbau Deutschlands zu engagieren. Nach Studienjahren in München war Vera Singer 1951–53 an der Deutschen Akademie der Künste in Berlin-Weissensee Meisterschülerin beim Maler und Widerstandskämpfer Max Lingner. Für Vera Singer war der Satz von Käthe Kollwitz „Ich will wirken in dieser Zeit“ von zentraler Bedeutung. Vera Singer: „Ich wollte inständig, dass etwas Gutes gelingt.“ Mit der Berufung 1969 von Hans Singer zum Generaldirektor des riesigen Chemie-Kombinats VEB Chemische Werke BUNA in Schkopau bei Halle an der Saale trat auch Vera Singer mitten in die Industriewelt der dort arbeitenden 20.000 Werktätigen. Die Werke BUNA zählten damals mit jenen in Bitterfeld zu den grössten und auch stärksten umweltbelastenden Betrieben im mitteldeutschen Raum. Vera Singer verstand ihr künstlerisches Wirken in jenem Umfeld als ein gesellschaftliches Engagement: „Der Wirklichkeit nachspüren, zu neuen Erkenntnissen gelangen, mit diesen Erkenntnissen in der dem Maler eigenen Sprache auf die Wirklichkeit einwirken: das ist für mich, und sicher nicht nur für mich, ein großes und erlebnisreiches Vorhaben.“ In Schkopau entstanden die eindrücklichen Porträts von Werktätigen und Stillleben aus den Betrieben. Ausstellung und das Podium (Kultur hüben und drüben, 19. April) mit namhaften Gästen aus Berlin thematisiert die für Kulturschaffende der DDR schwierigen kulturpolitischen Einschränkungen seit 1955. Diese haben sich mit dem Beginn des Mauerbaus 1961 drastisch verschärft. So durfte beispielsweise der Roman Flugasche von Monika Maron mit der offenen Kritik an der Umweltbelastung der Chemiestadt Bitterfeld in der DDR nicht publiziert werden. 

Mauerfall und Epilog
Künstlerisch sind für Vera Singer neben dem Schweizer Max Gubler, den Klassikern Henri Matisse und Max Beckmann vor allem sozialistisch engagierte Maler wichtige Vorbilder, so der Italiener Renato Guttuso und der Mexikaner Diego Rivera, der Schöpfer grosser bekannter Mauerbilder (Murales). Dieser weilte 1956 in Ost-Berlin, zeitgleich mit dem Entstehen von Singers ersten Wandbildern. Die Skizzenbüchlein von Vera Singer dokumentieren ihre sorgfältig komponierten Bildgerüste. Sie ist in diesen vorbereitenden Phasen eine Meisterin ihres Fachs. Stehen diese räumlichen und flächigen Kompositionen, lässt sie dem Pinsel freien Lauf. Für Experimente und Abstraktionen gab es kaum Raum. Als Malgrund verwendet die Künstlerin für ihre Bilder durchwegs Hartfaserplatten. Die als „Mischtechnik“ bezeichnete Anwendung basiert in der Regel auf Eitempera, also Eigelb, Wasser und Leinöl. Dadurch gewinnen die Werke die für Vera Singer typische pastose, flächige Deckkraft. Der Pinselduktus gewinnt im wasserhaltigen Lavieren die charaktervolle Tektonik. Zu den eindrücklichsten Werken Singers zählen die unter dem Titel Epilog entstandenen Gruppenbilder, die während des Mauerfalls entstanden sind. Sprachlosigkeit und Verzweiflung sind in durchsichtigen, oft leeren Gesichtern von Menschen zu lesen. Mit der Nachricht des Zerfalls der DDR gingen Verlust und Orientierungslosigkeit einher.
dekern: Rausmalen die Wut und das Leben
Mit dem über vierzig Jahre jüngeren dekern (Thomas Kern, 1970 geboren in Radeburg bei Dresden), setzt die Ausstellung einen starken Kontrast. Mit siebzehn wurde dekern angefahren und lag schwer verletzt längere Zeit im Koma. Sich Freimalen, Wunsch nach Attacke, spürt er in seinem Schaffen noch heute. Gesehnt hat er sich immer nach etwas anderem als das, was ihm während der DDR-Zeit widerfahren ist. Eine Filmvorführung über den afroamerikanischen Künstler Jean-Michel Basquiat (1960-1988) im Dresdner K.I.D, dem Kino im Dach, hob das Selbstverständnis von dekern erstmal ziemlich aus den Angeln. Denn der in New York aufgewachsene Basquiat, dessen Familie aus Puerto Rico stammt, malte ja „gleich“ wie er selbst hinter dem eisernen Vorhang. Junge DDR-Künstler wussten von nichts, was sich in den wilden Kunstszenen des Westens abspielte. Die Gleichzeitigkeit von sich in Frage-Stellen und sich bestätigt Fühlen war für dekern vor allem eines: ein Rückschlag. Er fühlte sich vom seelenverwandten Maler, Klarinettenspieler und Synthesizer der Noise- Band Gray aus den USA überholt. Es brauchte Zeit, um als Künstler in der grünen Oberlausitz wieder das eigene Ich zu finden. dekern bejaht seine Nähe zum „Wild-Style“ der Graffiti-Kultur. In den meisten Bildern des Autodidakten drängen sich wiederkehrende Zeichen, Symbole und figürliche Motive in oft konzentrischen Verdichtungen. Ängste und Schmerzen kreisen um Köpfe und halten Dauerpräsenz. 2013 hat er sechzehn Songs des Albums Kopf an Kopf der Rockband SILLY visualisiert. Diese wurden im Anschluss an ein Konzert versteigert. Der Erlös der Auktion ging als Spende an den Kindernothilfefond des Deutschen Kinderhilfswerks. In Bautzen selbst organisiert dekern mit Erfolg Street-Art-nahe Workshops. Im vergangenen Jahr beteiligte sich dekern mit Malen und Performance an 1. Art Pankow auf dem Grossgelände Gewerbepark Berlin-Wilhelmsruh.


Text: Peter Röllin / IG Halle

Medienspiegel


Saiten, 03/2015

Malen in der Flugasche


Zürichsee-Zeitung Obersee, 02.03.2015

DDR-Kunst findet erstmals den Weg in die Öffentlichkeit


Südostschweiz, 02.03.2015

Atmen in Zeiten der Wende


Schweizer Museumspass, 04.03.2015

Mauerfall und Bilderreisen


St.Galler Tagblatt, 11.03.2015

Sie wollte, dass etwas Gutes gelingt


Neue Zürcher Zeitung, 31.03.2015

Bilderreisen durch die ehemalige DDR


P.S. Die linke Zürcher Zeitung, 02.04.2015

«Wir» kontra «Ich»


Zürichsee-Zeitung, 13.04.2015

Eine wahre Geschichte in Bildern erzählt


Kunst-Bulletin, 05/2015

Vera Singer und dekern






Anlässe in der Ausstellung Mauerfall und Bilderreisen

Podium: Kultur hüben und drüben

Sonntag, 19. April, 11.30 Uhr
Teilnehmer mit unterschiedlichem DDR-Bezug diskutieren:
- Peter P. Kubitz, Programmdirektor der Deutschen Kinemathek, Berlin, Kreation TRIAD Berlin und Geschäftsführer Mediatheken in Deutschland
- Beate Vollack, Leiterin der Tanzkompanie des Theaters St.Gallen und künstlerische Leiterin der Theatertanzschule St.Gallen
- Michael Schilli, Leiter galerie kunst am gendarmenmarkt, Berlin 

- Moderation: Peter Röllin, Kultur- und Kunstwissenschaftler

Literaturtage Rapperswil-Jona

20. – 22. März im Ausstellungsraum

Lesung mit Monika Maron (Bild), Eugen Ruge und Catalin Dorian Florescu am 21. März.

Öffentliche ​Führungen

mit Peter Röllin, Kurator der Ausstellung
Sonntag, 15. März, 16 Uhr
Samstag, 2. Mai, 11.30 Uhr


Publikation Vera Singer

Vera Singer | Mauerfall und Bilderreisen – Kunstwege aus der DDR, 2015


Mit einem Text von Peter Röllin.

Mit dem Berliner Mauerfall am 9. November 1989 verband sich die Auflösung der 1949 gegründeten DDR. Der folgenschwere Systemwechsel und die Wiedervereinigung in den beiden Teilen Deutschlands bewegten auch Künstlerinnen und Künstler ganz unterschiedlich. Vera Singer, 1927 in Berlin geboren, hat sich in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Sowjetsektor am Wiederaufbau auf ihre Weise als Künstlerin stark engagiert. Davon handelt diese Schrift, die aus Anlass der Ausstellung Mauerfall und Bilderreisen. Vera Singer und dekern – Kunstwege aus der DDR im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil 2015 gezeigt wurde.


Die Publikation als PDF

24 Seiten, Softcover

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