Mit dem Panoramawanderstab
IG Halle in der Alten Fabrik Rapperswil
28. Februar bis 30. März 2003
Kurator: Peter Röllin
Wer sich mit dem Künstler Stefan Vollenweider und seinem Werk beschäftigt, erhält Einblick in eine andere und oftmals überraschende Ordnung der Dinge. In seiner Garage am Rapperswiler Brauereiweg unterhält er ein geheimnisvolles Archiv, das er nun für die Ausstellung „Mit dem Panoramawanderstab“ in die Alte Fabrik verlegt.
Im Mittelpunkt der Ausstellung von Stefan Vollenweider in der Alten Fabrik simuliert eine mit Brettern verschlagene Hütte (Typus Baustellenmaterialwagen) die eigene Garage am Brauereiweg 17 in Rapperswil: ein Behältnis, eine Hülle für Requisiten, Reliquien, Resten, Spuren, Abdrücke, Lochraster, Antennen, Kisten, Fundgegenstände aller Art, harte und weiche Körper, Oberflächen, Beschläge. Die Gegenstände besetzen beidseitig die Wände dieses geheimnisvollen Archivsystems. Es ist zugleich der Fundus instructus für den Mann mit dem Panoramawanderstab.
„Es ist ja schon viel da“
Eine immense Güteransammlung, die von ihm bewirtschaftet wird. Wir finden hier Gegenstände und Materialien, die sich mit Geschichten aus dem alltäglichen Umfeld verbinden und in wechselnden Zusammenhängen zu Trägern von neuen Geschichten werden. Vollenweider: „Es ist ja viel schon da. Die Verwendung und das Gefüge können durch das Thema (Inhalt) stets neu werden …“ Auch die Gummimatte zählt dazu, die der Reisende in einer italienischen Kiesgrube gefunden hat und die nun wie ein Käselaib den Reifeprozess durchlebt. Kompost ist der Dünger für aktuelle wie spätere Konzepte. Auch mutierte beim Wechsel eines Ateliers der zurückgelassene Boden zu einem grossen Druckstock. Und wenn Vollenweider den gesuchten, weil für die aktuelle Arbeit wichtigen Gegenstand nicht findet, den Knochenschädel beispielsweise, dann zeichnet er eben diesen auf Papier oder betoniert ihn in einer Leerform.
Ästhetisches Netzfeld für assoziatives Arbeiten
Der mit Notizen begleiteten Zeichnung kommt im Arbeiten Vollenweiders eine ganz zentrale Rolle zu. Sie ist Mittel der Vergegenwärtigung von erfahrenen und sich gerade einspielenden Zusammenhängen. Die sehr sensibel auf die Fläche gebrachten Striche und Farben sind in affiche 2, seinem Schaufenster-Atelier an der Rapperswiler Kluggasse 9, „wie zum Trocknen“ zwischen Drahtschnüre gespannt. affiche 2, zuvor ein hochräumiger Kiosk, kann als Schaufensterauslage wie als Arbeitsstätte öffentlich eingesehen werden und wird von Passanten ab und zu auch betreten. In diesem persönlichen wie halb öffentlichen Umfeld schaffen die Zeichnungen ein sinnliches, ästhetisches Netzfeld für assoziatives Arbeiten. Die Environments der Werkstatt verleiten zu Fragen: Was bedeutet jener Trichter, jenes Rohr auf den gezeichneten und kolorierten Blättern? Was jener Wattenbausch, was jene Hohlform? Antworten sind hier unwichtig, weil „Bedeutung“ hier nie eine feste oder begrenzte sein kann. Die minimalen Gebilde – neben Bleistift und Acryl sind 12-Farben-Kugelschreiber, Schablonen und Tip-Ex ebenso bevorzugte Techniken – verlieren in der Befragung ihre sorgsam ausgeführten Umrisse und oftmals durchsichtige Stofflichkeit. Die zeichnerischen Niederschläge lassen sich so wenig wie Gerüche und Stimmen ein für allemal verorten. Sie – und noch mehr die versammelten Objekte – sind provozierend im ursprünglichen Sinne des Wortes: sie fordern heraus. Ein „plastisches“ Denken und Imaginieren, wie es Joseph Beuys lehrte, ist am Platz. Prozesse in Gang setzen ist alles.
Die Welt neu ordnen
Die künstlerischen Installationen der Wände und Auslagen von Vollenweider vermitteln auf ihre Weise, Welt neu zu ordnen und in neuen Zusammenhängen zu sehen. Die Kultur, die Vollenweider verarbeitet stammt aus verlassenen Produktionshallen, von Regalen der Grossverteiler, aber vorzugsweise aus Deponien, Abbrüchen, Mulden. Wie eine Metapher haben sich damals noch mit akzeptablem Verkaufsdatum versehene Vakuumpackungen mit Backwaren aus der Mulde eines lokalen Einkaufszentrums über Jahrzehnte im Sortiment von Vollenweider erhalten. Die Mulde stand in den 80er-Jahren gegenüber seines früheren Atelier-Schaufensters Merkurstasse 20. Die Wiener Torteletten wechselten in das Fenster des Künstlers und konnten so von Warenhauskunden nochmals vor ihrem Verfalldatum beäugt werden. Noch heute ziehen die selben industriell verpackten Produkte die erstaunten Blicke der Fussgänger in den Bann. Die Einmaligkeit der Künstler-Auslagen schliesst Verwechslungen mit anderen gewerblichen Fenstern der gleichen Gasse aus. Das nicht freiwillig gewählte Gegenüber – das Auslagefenster eines Waffenhändlers – provoziert starke Verquickung mit dem offiziellen Einkaufsziel Rapperswil. Angebot und Nachfrage und Wettbewerb ergeben sich auf kleinstem Raum wie von selbst.
Text: Peter Röllin / IG Halle
Kunstpädagogik
Künstler führt Schulklassen
Seit drei Jahren bietet die IG Halle unter der „Marke“ artefix zu ausgesuchten Ausstellungen eine pädagogische Begleitung an. Während der Ausstellung Stefan Vollenweiders besteht für Schüler und Lehrkräfte die Chance, direkt mit dem Künstler in Kontakt zu treten. Ein pädagogischer Leitfaden kann bezogen werden.
Medienspiegel
Vielfalt alltäglicher Dinge nutzen
Umgebung ist darin sein
Anlässe in der Ausstellung MIT DEM PANORAMAWANDERSTAB
Vernissage
Donnerstag, 28. Februar, 19.00 Uhr
Einführung: Peter Röllin, Kurator / Leiter IG Halle
Anna Maria Tschopp liest Texte von Stefan Vollenweider
Kunstpädagogik artefix kultur und schule
Die Ausstellung wird kunstpädagogisch von artefix kultur und schule begleitet (Musterbild).
Publikation
Mit dem Panoramawanderstab
2003, Vexer Verlag
Mit einem Text von Peter Röllin.
Stefan Vollenweider arbeitet mit gefundenen Gegenständen und Materialien, aus denen er Geschichten aus dem alltäglichen Umfeld verbindet und in wechselnde Zusammenhänge verknüpft. Er verwendet eine Art-Recycling-Technik mit alltäglichem Bildmaterial für seine Wanderungen mit dem Panoramawanderstab.
84 Seiten, 74 Abbildungen, Softcover
CHF 30.–
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