Sortierungen von A – Z
IG Halle im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil
14. November 2010 – 16. Januar 2011
Netzwerker, Künstler, Kunstpädagoge
Der Rapperswiler Künstler Stefan Vollenweider feiert im November 2010 seinen sechzigsten Geburtstag. Pünktlich zu seinem Jubiläum würdigt die IG Halle das Schaffen des passionierten Netzwerkers, Künstlers und Kunstpädagogen mit einer Einzelausstellung im Kunst(Zeug)Haus. Zu sehen sind Zeichnungen, grosse Aquarelle und Linoldrucke, Installationen aus dem Fundus Bauschutt, bewegte Bilder sowie Dokumentationen von Interventionen im öffentlichen Raum, u.a. der Arbeit See-Level in der SBB-Unterführung in Rapperswil.
Kurator: Peter Röllin
Stefan Vollenweider wurde 1950 in Kaltbrunn geboren und gehörte vor achtzehn Jahren wie Barbara Schlumpf selbst zu den Mitbegründern der IG Halle in der Alten Fabrik. Zeitweise hatte der ausgebildete Bildhauer auch sein Atelier in der Alten Fabrik. Die Präsenz des Künstlers und Kunstpädagogen in Rapperswil-Jona kennt viele vergangene und aktuelle Verortungen, so das Schaufenster Merkurstrasse 20, die Affiches an der Herren- und Kluggasse, den Leuchtkasten Carré d’Art an der Fassade des Einkaufszentrums Sonnenhof (seit 2001) sowie Auftragsarbeiten im öffentlichen Raum. Die 2000 entstandene blau-weisse Gestaltung der SBB-Unterführung des Bahnhofs Rapperswil markiert auf Gürtellinie Orte auf der Welt, die dieselbe Höhe von 405,5 m über Meer wie der Zürichsee teilen: Kami Sokeshi (Japan), Kautokeini (Norwegen), Kalashnikovo (Russland), Radulovo Brdo (Serbien), Slatinka (Slovenien), Kazakalé (Togo), Princetown (United Kingdom), Travancinha (Portugal), Poggio Santa Cecilia (Italien) und andere. Stefan Vollenweider ist grosser Vernetzer und Kunstpädagoge. Nebst seiner Lehrtätigkeit an der Schule für Gestaltung St.Gallen hat Stefan Vollenweider mit Gabriela Scherrer das für Jugendliche offene „Atelier für Musik, Kunst und Entwicklung“ aufgebaut. Gestaltung lehrte er auch an der Hochschule für Technik Rapperswil.
Prozesse in Gang setzen
Die Ausstellung im Kunst(Zeug)Haus überrascht die Besucher gleich schon vor dem Haus mit einer weit ausholenden perspektivischen Bodenzeichnung auf dem flachen Asphalt. Der Künstler führt uns über zeichnerische Markierungen und elementare Materialien aus dem Alltag in die Erfahrung
neuer Zusammenhänge. Ein grosser Sandhaufen, ein riesiger „Windfang“, Installationen, Drucke und Zeichnungen ordnen vor unseren Augen die Welt, sortieren sie symbolisch von A bis Z neu.
Vollenweider schafft sich Vorstellungsmodelle für seine eigene Kommunikation mit den Betrachtern. Er steht damit jener Sprache des Kunstbegriffs nahe, wie sie von Joseph Beuys gesetzt worden ist. Der Künstler entfaltet sich und konfrontiert Betrachter mit Erinnerungssplittern und magischen Relikten aus dem Alltag. In den 1980er-Jahren arbeitete Vollenweider hinter dem Schaufenster Merkurstrasse 20 vis-à-vis des Manor Einkaufzentrums. Vakuumverpackte Backwaren aus der Mulde wechselten die Strassenseite. Warenhauskunden konnten im Schaufenster des Künstler abgestossene Waren vor Ende des Verfalldatums nochmals angucken. Irritation, Angebot und das grosse Nachfragen ergaben sich wie von selbst, nun aber auf kleinstem Raum. Kompost sozusagen als geistiger Dünger.
Prozesse in Gang setzen und öffentlicher Diskurs sind programmatische Grundpfeiler dieser künstlerischen Arbeit. Als 1985 an der Alten Jonastrasse Häuser und grosse Bäume fallen mussten, begleiteten Künstler und Studenten mit einer Aktion „Obacht“ die Vorgänge. „Umgebung ist darin sein“ notierte Vollenweider 1990. Seine Arbeit reichert Umgebungen an und füllt sie mit neuen Inhalten, doch nicht einfach für sich, sondern eben in starker sozialer Vernetzung. 1990 präsentierte die Kunsthalle St.Gallen das Gemeinschaftswerk Stöcker-Selig-Vollenweider. Eine in den früheren Uhrenfabriken von Jaquet Droz in La Chaux-de-Fonds 1994 durchgeführte „Conférence permanente“ baute auf Künstlertreffen in Zürich, Basel und Rapperswil. Stefan Vollenweider kuratierte gemeinsam mit Aldo Mozzini die Ausstellung La nuit américaine der IG Halle mit Beiträgen von Bob Gramsma, Lutz/Guggisberg, Hannes Rickli u.a. Der Versuch einer Baustelle nannte sich ein einwöchiges Happening 1996 in Kooperation mit dem Architekturforum Obersee.
Unsichtbare Wirklichkeiten ins Bild gesetzt
Die Orte der Verkehrs- und Massenkultur sind bevorzugte Felder von Vollenweiders künstlerischer Aneignung und Formung. Das breite, mit grosser Sorgfalt produzierte Schaffen entsteht zunächst in den eigenen vier Wänden. Die oft mit Notizen begleiteten Zeichnungen, Aquarelle und Druckwerke auf Papier (neben Grafit, Tusche auch Lackfarben, Druckfarben und Tipex) sind allesamt Texturen eines umfassenden Ordnens. Der Zürcher Medienpädagoge Christian Doelker bezeichnete das prähistorische Bilderschaffen der Höhlenmaler als „Be-Weltigungs“-Strategien, als Domestizieren des erlebten Alltags. Vollenweiders La vie est dure sans confiture leuchtet in Neonlettern den Besuchern des Kunst(Zeug)Hauses seit dessen Eröffnung beschwörend entgegen. Die Arbeiten auf Papier, mit Vorliebe im A4-Format, sind fantastische und doch so gegenstandsnahe Notizen und Partituren aus dem visuellen „Archivsystem“ des Künstlers, eine geistige Güteransammlung buchstäblich von A–Z. Verankerung wird im Eigenen gesucht: „Wenn ich mich an Bilder erinnere, die ich als Motiv für den Gebrauch suche, dann gehe ich diesen Weg. Ungenutzt liegen gebliebene Vorstellungen sind nicht verloren.“ Objektrelikte, Verschüttetes und fragmentarische Erfahrungen fügen sich in kompositionsstarken und fein gezeichneten Papierarbeiten in neue magische Wirklichkeiten. Stefan Vollenweider ist ein eigentlicher Sinnlichkeitserzeuger.
Text: Peter Röllin / IG Halle
Medienspiegel
Stefan Vollenweider, Sortierungen von A –Z
Anlässe in der Ausstellung SORTIERUNGEN VON A – Z
Vernissage
Sonntag, 14. November, 11.15 Uhr
Einführung: Peter Röllin, Leiter und Kurator IG Halle
Öffentliche Führungen
Sonntage, 21. und 28. November, 5. und 12. Dezember, 9. und 16. Januar, jeweils 11.15 Uhr
Kunstpädagogik artefix kultur und schule
Die Ausstellung wird kunstpädagogisch von artefix kultur und schule begleitet.
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